Die Sache mit Haken
Der Weg zur Funkperle im Kristallhaus
Heute eine Selbstverständlichkeit für die Funkamateure aus Würzburg, dass ein sogenanntes „Kristallhaus“ auf dem Blosenberg steht, in dem sie ihrem Hobby, dem Amateurfunk nachgehen können. Doch war der Weg von der Idee, zur Umsetzung, bis hin zur Vollendung mit vielen Schwierigkeiten verbunden.
1970 fragt Erich Keyhl Herrn Graf, seinen Nachbar und Inhaber der Firma Stahlbau Graf, ob er einen Haken für seine Antenne an seinem Haus anbringen dürfe. „Nein, an mein Haus kommt kein Haken!“ Entgegnet Graf schroff. Traurig verabschiedet sich der junge Funkamateur von der Idee, mit seinem Funkgerät die Welt zu umrunden. Jedoch die Enttäuschung über den sonst so freundlichen Nachbar überwiegt.
Doch Graf lässt nicht locker, holt zum nächsten Schlag aus: „Funken in der Innenstadt ist unmöglich! ich weiß das, ich war im Krieg Offizier. Sie müssen mit dem Funkgerät auf einen Berg!“
Zuviel für den nun vollkommen erschütterten Keyhl.
Im selben Augenblick geschieht das Unerwartete. Graf greift zum Hörer. Telefoniert kurz. Wenig später eilt sein Angestellter mit einem Modell „Stahlbau Graf Christall“. „Das ist genau das richtige für Sie!“ Graf, der Geschäftsinhaber einer Firma für Stahlbau ist, zeigt dabei auf das Haus. Der vor ihm liegende Gebäudeentwurf ist auf den Architekt Heinrich Johann Niemeyer (1936-2010) aus Tübingen zurückzuführen. Insgesamt wurden 18 Bauten auf Basis dieser Stahlkonstruktion in verschiedenen Größen deutschlandweit gebaut.
„Super, dann besorgen Sie mir ein Grundstück und zahlen Sie gleich noch die Erschließungskosten!“ Lehnt Keyhl sarkastisch, verärgert und entmutigt ab.
Vom jugendlichen Spott unberührt, bleibt Graf ernst: „Ich schenke Ihnen einer meiner Konstruktionen. Sicherlich werden Sie ein paar Gleichgesinnte finden, die mit Ihnen das Haus aufbauen werden“.
Nun ist Erich Keyhl vollkommen überrumpelt. Der noch eben tiefsitzende Zorn wird Begeisterung und Euphorie. Trotzdem bittet er um Bedenkzeit. Dieses großartige Angebot muss er erst mit seinen Mitstreitern aus dem Ortsverband B18 des Deutschen Amateur Radioclub e.V., Kurz: DARC besprechen. Rund ein Drittel der Mitglieder, insgesamt 34 Männer und Frauen möchten sich am Projekt beteiligen. Noch ahnt keiner, dass die Sache auch mit metaphorischen Haken verbunden ist.
Die Initiatoren müssen schnell feststellen, dass es nicht leicht ist, auf einem Berg, der niemals Baugebiet werden soll, eine Baugenehmigung für das Haus zu bekommen. Dazu kommen weitere Sorgen. Das nötige Geld für ein geeignetes Grundstück fehlt. Baumaterialien sind ebenfalls nicht vorhanden. Um die Finanzierung ein stückweit zu realisieren, soll der Verein „Amateurfunk Unterfranken e.V.“ gegründet werden. Inhalt der Satzung soll sein, dass das Funkhaus die Gemeinschaft unter Funkamateuren fördern soll.
Die Eintragung beim Registergericht erfolgt. Und ein weiterer großer Meilenstein wird gesetzt. Nach rund sechs Monaten erwirbt der Verein das Grundstück am Blosenberg auf Erbpacht. Endlich wird auch die langersehnte Baugenehmigung erteilt.
Bald wird es möglich sein, die nicht vorhandenen Stoffe mit Hilfe aller Beteiligten durch Geld- und Sachspenden herbeizuschaffen. Somit rückt der erste Spatenstich näher.
Mühsam geht die Arbeit mit Spaten, Schaufel und Bohrer durch harten Muschelkalk voran, Damit im nächsten Zug wird das Fundament gegossen. Kurz darauf erreicht das Stahlskelett das Grundstück. Keiner der Pioniere dachte daran, dass das Bauprojekt 20 Jahre ihrer Freizeit in Anspruch nehmen wird und noch die zukünftigen Generationen mit Instandhaltung und Modernisierung der Technik beschäftigt. Denn die Baustelle rückt immer nur dann dem Ende ein Stückchen näher, wenn notwendigen Sach- und Geldspenden zur Verfügung stehen, die durch die Funker mit größer Anstrengung herbeigeschafft werden. Endlich ist der Rohbau abgeschlossen. Nun beginnt die wirkliche Meisterleistung: Ein Shack, ein Versammlungsraum, eine Küche, eine Werkstatt und zwei Toiletten in einem sechseckigen Bau zweckdienlich zu integrieren.
In Köln-Sinnersdorf gab es bereits um 1970 eine Häusersiedlung, der gleichen Bauart und Größe. Dennoch mit einem einen gewaltigen Unterschied: Das Amateurfunkzentrum in Würzburg wird das einzige Gebäude werden, das weder als Wohn- noch Gewerberaum genutzt wird, sondern der Öffentlichkeit zugängig ist. Weitere Häuser stehen auf Sylt und in Travemünde.
Heute kann sich die nachfolgende Vereinsgeneration an der Hartnäckigkeit ihrer Vorfahren und der daraus resultierenden Perle im Kristallhaus erfreuen: Ein Shack mit Masten und Antennen, die mit modernster Technik die Funkamateure sanft auf den Radiowellen um die Welt tragen.
Jonathan Ullrich, DO9JU